Die Ton- und Filmdokumente zeigen keine spektakulären Szenen, sondern das alltägliche Wunder des kindlichen Spracherwerbs. Albert Schweitzers „Ehrfurcht vor dem Leben!“ sei unser Leitwort. Was wir alle selbst in den Kinderstuben hören und sehen können, wird hier noch einmal mitgeteilt und verständlich gemacht. „Einblicke in das Werden der Sprache beim Kind bilden den faszinierendsten und schönsten Zugang zum Wesen der Sprache – und des mit der Sprache begabten Menschen. Sprache wird hier nicht ‚wie eine abgestorbene Pflanze‘, sondern in ihrer lebendigen Aneignung dargestellt. Mit dieser Aneignungsaufgabe allein betreibt das Menschenkind einen Jahre andauernden Lernaufwand, der ohne Parallele im Tierreich ist.“ (Butzkamm & Butzkamm 2008, S.1)
Eine Besonderheit: Drei meiner Enkel – Olivia, Milan und Astor – wachsen in Südfrankreich mehrsprachig auf. Dies ist die sprachliche Ausgangslage: Die Mutter spricht deutsch mit den Kindern, mit ihrem Mann jedoch Französisch (gebürtiger Argentinier), so dass Landessprache und Familiensprache Französisch ist. Der berufstätige Vater nutzt vornehmlich an Wochenenden die Gelegenheit, die Kinder auf Spanisch anzureden und hat außerdem viel Erfolg mit gut ausgewählten spanischen Zeichentrickfilmen, die sich die Kinder im Alter von etwa drei Jahren immer wieder erneut ansehen. Denn ohne dass mit den Kindern verständlich gesprochen wird, ohne reichlichen, verstehbaren Sprachinput, geliefert von Personen, denen sie vertrauen, wächst keine Sprache.
Benennen (Film auf YouTube):
Den Dingen ihren Namen geben, das Benennen, verdeutlicht dem Kind die Darstellungsfunktion der Sprache, ihren Zeichencharakter. Etwas, nämlich ein Schall, eine Lautung, steht für etwas ganz anderes, als es selbst ist, z.B. für die Dinge der Welt, mit denen man umgehen kann, hier Stuhl und Ball. Ein Klangereignis wie ‚rot‘ steht für eine Farbe, einen optischen Eindruck, usw. So alltäglich sie ist, diese symbolische Gleichung ist ein Geniestreich der Evolution (Butzkamm & Butzkamm, S. 97). Der Stuhl, den ich anfasse, der Ball, den ich werfe, die Farbe, mit der ich male, sie sind gewissermaßen noch einmal da, nämlich als Klang, den ich höre. Die Dinge haben ihre Namen. Sprache, das ist die Welt noch einmal. Wichtige andere Dinge, auf die man nicht zeigen kann, werden mitgeliefert „ja“, „danke“, „wo ist denn…?“ mit Frageintonation.
Lina lernt ein neues Wort
Lina ist allein mit den Großeltern und fragt mehrfach nach Papa, Mama und der großen Schwester. Immer wieder bekommt sie die Antwort: „Die / der ist nicht da. Die kommt später.“ Ich merke, hier tut sich was: Lina ist dabei ein Wort aufzunehmen, das oft wiederholte „später“. Ich schalte den Rekorder ein, und da ist es auch schon, das neue Wort. Es kommt leise und zögerlich. Was denkt sie sich wohl dabei? Natürlich muss sich eine Zeitvorstellung erst noch entwickeln. Wörter wie später, jetzt gleich, morgen usw. leisten Hilfestellung. Zunächst könnte für Lina das Wort später gleichbedeutend sein mit einer Mischung von nicht jetzt / nicht da. Die ersten Zeitbegriffe entwickeln sich aus Raumvorstellungen.
Grammatikspiele – Spaß mit dem Kind und zugleich ein Forschungsinstrument.
Wie erfasst man den Sprachstand von Kindern? Am besten, indem man ein Tagebuch führt und regelmäßig Gespräche aufzeichnet. Eine solche Längsschnittuntersuchung dokumentiert die Sprachentwicklung eines Kindes, sagt uns aber nicht, über welchen Wortschatz im Durchschnitt ein Dreijähriger verfügt und was er grammatikalisch kann. Hier brauchen wir Querschnittsuntersuchungen, in denen viele gleichaltrige Kinder zugleich getestet werden. Jean Berko Gleason (1958) erfand den Wug-Test, um herauszufinden, in welchem Alter normalerweise englischsprachige Kinder die englischen Pluralformen und anderes beherrschen. Der Plural-Test geht so: Die Kinder bekommen ein Bildchen gezeigt, das mit einem Kunstwort benannt wird: „Dies ist ein Wug.“ Danach werden zwei oder mehrere Exemplare gezeigt und das Kind gefragt: Und dies sind zwei …? Ein toller Test, der verlässliche Ergebnisse liefert. – Ich selbst führe keine statistisch kontrollierten Untersuchungen durch. Mich treibt einfach die Neugier und der Spaß, mit dem Kind zusammen zu sein. Mit anderen zitiere ich gerne in diesem Zusammenhang das Sprichwort: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Das trifft wohl für den Grammatikerwerb zu.
Grammatikspiele – Partizip (Mia2)
Ich sage etwas, und Mia soll widersprechen. Vorgabe: „Da spielt ja die Lina.“ Mia: „Nein, die hat ja schon gespielt.“ Der „Test“ geht voll in die Hose. Was zum Lachen.
Grammatikspiele – Partizip (Mia3)
„Wer sägt die Kokosnuss auf?“ Mia: „Die ist doch schon aufgesägt.“
Auch die trennbaren Verben bereiten Mia offensichtlich keine Schwierigkeiten. Sehr deutlich hier auch die Tendenz, das Gesagte, d. h. die übermittelten Inhalte, beim Wort zu nehmen, statt sprachliche Luftgespinste ohne Bezug zur Realität zu spinnen.
Grammatikspiele – Partizip (Mia4)
„Ruf doch mal.“ Mia: „Ich hab doch schon gerufen.“ Auch die Formen ohne ge- : trainiert, probiert, werden richtig gebildet.
Grammatikspiele – Plural (Olivia)
Während Mia die ganze deutsche Plural-Palette drauf hat, trotz gelegentlicher Fehler: Nase – Nasen, Zahn – Zähne, Loch – Löcher, Auto – Autos; Stuhl-Stühle, Buch – Bücher usw., Befindet sich Olivia noch einem früheren Stadium. Sie hat den Plural auf –en verallgemeinert. Ihre – ihr nicht bewusste – Regel lautet: Wenn Mehrzahl, dann – (e)n – anhängen. Sie geht aber noch ein Schrittchen weiter und benutzt dabei auch schon den Umlaut: Büchern, Zähnen usw. – Als sie korrigiert wird, verliert sie die Lust. Hört sie die Kritik heraus? Hier wird einmal mehr deutlich, dass Deutsch, die Sprache der Mutter, Zweitsprache geworden ist.
Unvergessen, als sie später einmal ihre beiden Brüder als „Scheißkerlen“ bezeichnet, weil sie sich ständig von ihnen gestört fühlte. Das wird in die Familienchronik eingehen.
Grammatikspiele – Plural (Mia)
Ich mache den Plural-Test von Gleason nach, aber ohne Bildchen, indem ich mir Mias Lust am Widerspruch zunutze mache. Opa: „Ein Ohr?“ Mia: „Nein, zwei Ohren.“ Erstaunlich, wie wenig Fehler sie macht, angesichts der Vielfalt deutscher Pluralformen.
Grammatikspiele – Komparativ (Mia)
„Das ist weit genug.“ Mia: „ Nein, noch weiter.“ Damit könnte man die Beherrschung der Komparativformen überprüfen. Wir aber spielen einfach nur damit. Und immer kommt etwas Interessantes dabei heraus, hier die Form „mehr würzig“. Mia bricht an dieser Stelle unvermittelt aus dem Schema aus und wählt eine Form, die in anderen Sprachen wie etwa im Französischen Standard ist. Wahrscheinlich hat sie die Form noch nie gehört, sie ist ihre eigene Schöpfung. Man kann darüber ins Grübeln geraten. Wie ist Sprache überhaupt entstanden, wie hat sie sich entwickelt? Sie ist ja nicht fertig vom Himmel gefallen. Sind es die Kinder, die die Entwicklung vorangetrieben haben? Ist es ihre Findigkeit?
Sprachspielchen
Assoziationsspiel (Olivia)
„Allez les Bleus“ ist der Anfeuerungsruf für die französische Fußballnationalmannschaft, die traditionell in blauen Trikots aufläuft. Wir haben das schon einmal gespielt, brav mit Farben und Nationalitäten. Beim zweiten Mal blödeln wir herum, lassen also nicht nur die Blauen marschieren, sondern auch die Käsesorten oder die belgischen Biere. Statt des traditionellen freien Assoziationstests der Psychologen, wo man auf Einzelwörter reagiert, kleiden wir die wechselnden Wörter in eine Phrase ein, das macht auch mehr Sinn im Fremdsprachenunterricht. – Nach „allez les Bleus“ wird „Kein Theater, Olivia“ durchgespielt. Auf diese Weise kann man Sachgebiete ausschöpfen wie Farben, Tiere, leckere Essenssachen usw.
Zu den schönsten Beschäftigungen mit Kindern gehört das Betrachten und Vorlesen von Bilderbüchern. Immer gibt es dabei reichlichen Gesprächsstoff und regen Austausch. Öffentliche Bibliotheken haben Kinderabteilungen, so dass für Abwechslung gesorgt ist. Was wollen wir denn heute lesen? Die Kinder schleppen dann von selbst das Buch heran, das sie zur Zeit am meisten interessiert. – Man kann es auch einmal anders machen und wie hier das Kind nachsprechen lassen (solange es bereitwillig mitmacht.) Der Mensch ist ja ein Genie der Nachahmung. Man kann es für das Kind spannend machen, indem man auch mal Textstückchen vorspricht, an denen es sich verschlucken kann.
Rechenspiele
Rechenspiel (Mia)
Wir werfen jeweils zwei Würfel, addieren die Zahlen und machen ein kleines Wettspiel daraus: Wer hat das Ergebnis zuerst? Mia ist verliebt ins Gewinnen. Es wird deutlich, dass der Mensch in ganz anderer Weise zur Sprache als zum Rechnen begabt ist. Beim Addieren im Zwölferraum macht Mia noch viele Fehler, während sie doch schon komplizierte Sätze versteht und spricht. Also machen wir Rechenspiele und unterhalten uns gut dabei.
Vergnügliche Sketche
Wir Menschen sind von früh auf befähigt, uns in andere hineinzudenken und hineinzufühlen. Das ist ein altes Erbe deer Menschheit. Nur in der Gruppe konnten wir überleben. Deshalb mussten wir früh lernen, die anderen zu verstehen, uns in sie hineinzuversetzen, mögliche Reaktionen vorauszusehen, mit anderen gemeinsame Sache zu machen oder sie zu manipulieren: unser soziales Talent. So sind auch schon Vorschulkinder Gedankenleser und können sich leicht Masken aufsetzen. Ohne weiteres können sie Vater, Mutter, Lehrer oder den eigenen Hund spielen. Also spielen wir mit den Kindern Theater (was wir ja sowieso schon immer machen)…
Blöde Schrift Sketch
Hier wird Schule gespielt. Mia gefällt sich in der Rolle des aufmüpfigen Mädchens. Diesen Sketch haben auch meine Grundschulkinder gerne gespielt – auf Englisch natürlich (The Model Teacher).
Machst Du mir mal…(1)
Machst du mir mal…(2)
Ein Sketch, der die Eltern-Kind Beziehung umdreht. Mia und ich spielen das Stückchen und wechseln dann die Rollen. Auch diesen Sketch haben wir in der Grundschule auf Englisch gespielt (Wrong World).
Kommunikation
Sprache entsteht zwischen den Menschen, und im Dialog zwischen Eltern und Kleinkind immer wieder neu. Jede liebevolle Beschäftigung mit dem Baby ist immer auch sinnvolle Kommunikation, ob verbal oder nicht-verbal. Studien haben einwandfrei nachgewiesen, dass in einem frühen Stadium Sprache nur über persönliche Interaktion gelernt wird, nicht über DVDs und Hörkassetten (social learning; face to face communication). Sprache muss also von Menschen aus Fleisch und Blut persönlich angebahnt werden, bevor die Medien sinnvoll ins Spiel kommen. Der Mench ist des Menschen Lehrer, nicht die Maschine.
Kommunikation von Anfang an (Film auf YouTube):
Es gibt so etwas wie eine Ursympathie zwischen Eltern und Säugling. Schon in den ersten Tagen führen sie lebhafte Zwiesprache, wobei die Eltern den Dialog eröffnen. Sie versuchen, den Blick der Kleinen zu halten und sie respondieren auf die Laute, die die Babies produzieren. Frage und Antwort, das Sich-Abwechseln im Gespräch, deuten sich hier schon an. Großeltern (wie hier) oder andere Betreuer mischen natürlich mit.
Mehrdarbietung (Film auf YouTube):
Mia: „Oma Kett“. Oma: „Oma hat eine Kette an“. Mia: „Auch“. Oma: „Du möchtest auch eine Kette haben?“ Mia: Da auf. Oma: Nein, die kann dir jetzt nicht geben… Mia bildet Ein- und Zweiwortsätze. Das ist der sog. kindliche Telegrammstil. Man könnte sagen, der verständige Partner leistet hier immer noch die Hauptarbeit, denn er baut das Gehörte zu richtigen Sätzen aus und spielt sie zurück. Natürlich mit den obligaten grammatischen Markierungen. Das „Mutterische“, wie ich gern sage, oder neutraler: die an das Kind gerichtete Sprache ist also kein „Ausländerdeutsch“ („Hier du unterschreiben“).
Wir sehen auch, dass die erwachsenen Partner nicht nur die kindlichen Sätze ausformulieren, sondern überhaupt viel mehr sprechen, als die Kinder aufnehmen und verstehen können. Das Prinzip der Mehrdarbietung nannten es Clara und William Stern, die als erste über die Sprachentwicklung ihrer drei Kinder jahrelang penibel Buch geführt haben. Das Prinzip ist identisch mit dem pädagogischen Grundsatz der „leichten Überforderung“. Es ist eine Art Vorwegnahme. Wer Kinder fördern will, muss ihnen immer ein wenig mehr bieten, als ihrem augenblicklichen Kenntnis- und Könnensstand entspricht (Butzkamm & Butzkamm 2008, S.111).
In den ersten Jahren sind es die Eltern, die schon Sprache haben, und die naturgemäß den Löwenanteil an den Gesprächen bestreiten. Besonders ergiebig für die Kinder ist das Eins-zu eins-Verhältnis, weil der Erwachsene genau auf das Kind eingehen kann. (Leider ist dies in der Schule nicht möglich!). In diesem Ausschnitt wird deutlich, wie die Grammatik des Adjektivs durch vielfache Wiederholung einwurzeln kann: ein schwarzer Bauer, der schwarze Bauer…
Lina – knapp vor ihrem dritten Geburtstag – wählt Schwarz, weil das die drei Jahre ältere Schwester stets wählt, und lässt sich gern auf eine „Partie“ ein, eben weil sie die Schwester dabei beobachtet hat. Sie agiert gerne im Schlepptau ihrer Schwester, von der sie viel abguckt und viel lernt. Einer ihrer ersten Zweiwortsätze war „Lina auch“.
Tätigkeitbegleitendes Reden (Film auf YouTube):
„Was machst du denn da?“ Die Oma, die hier auch filmt, zieht Astor in ein Gespräch. Sie kommentiert, womit sich Astor gerade beschäftigt, und begleitet ihn in einer Weise verbal, wie man es nur mit Kindern macht, so dass sie den steten Zufluss der Wörter zum Spracherwerb nutzen können. Was der eine sagt, wird vom anderen bestätigt und somit verstärkt. Natürlicher Zweitspracherwerb ist hier nicht anders als Mutterspracherwerb (Butzkamm & Butzkamm 32008, 53f.). Die Oma spricht konsequent Deutsch, Astor bleibt bei seinem stärkeren Französisch, so dass sich ein schöner Sprachmix ergibt. Sein einziges deutsches Wort in diesem Clip: Nudel. Aber er versteht die Oma sehr gut, was so viel heißt, dass er durchaus Tonfall, Wortschatz und Grammatik des Deutschen hat. Solches Lernen und Erleben in Eins-zu-eins Situationen lässt sich im Unterricht nicht nachbilden. Dennoch gilt für jeden Erwerb: Sprachen lernt man in dem Maße, wie sie uns – dem Sinn und der Form nach – verständlich zugesprochen werden (Doppelverstehen).
Eigenartig: Viel mehr als seinen Geschwistern macht es Astor Spaß, überall mitzuhelfen, mit zu “arbeiten / travailler“ (Tisch abräumen, Wäsche sortieren, staubsaugen usw.). Sehr früh zeigen die Geschwister charakterliche Eigenheiten, die wohl auch genetisch bedingt sind.
Ausschnitte:
Oma: Wo kommt das jetzt hin? Astor: A la poubelle (in den Mülleimer). Astor schaut in Richtung Mülleimer: Elle est là. (Er ist da). Oma: Für wen ist das? Das ist für mich. Astor bestätigt: À toi. Astor: Encore ici. Jetzt bestätigt Oma: Da ist immer noch was. Astor: Travaille. Oma bestätigt: Du arbeitest. Ja ich weiß. Astor: Tu veux gouter, Omimi? (Du willst kosten?) Oma: Gleich, gleich. Ich will’s gleich essen.
Erfolgserlebnisse (Film auf YouTube):
Oma und Olivia legen ein Puzzle zusammen. Eine schöne Art, sich mit dem Kind zu beschäftigen und dem Spracherwerb einen Schubs zu geben. Der Ausschnitt zeigt, wie oft Kinder auf ihrem Weg zur Sprache gelobt werden. Das Lob nimmt Olivia gern in einem eigenen Zweiwortsatz auf: „Olivia Klasse“. Gezeigt wird auch, wie aufmerksam die Oma auf die Kleine reagiert und somit den Spracherwerb verstärkt: Als Olivia noch mal (eigentlich ganz unnötigerweise) darauf verweist, wo sie das Puzzleteil mit dem grünen Mann gefunden hat, reagiert sie: „Das ist ganz oben, das lag da vorhin.“ – Wir hören auch die Verwendung fester, vom Kind noch nicht analysierter Formeln wie „Kumal“ = Guck mal. – Unaufgefordert, sich vergewissernd, wird ein (vielleicht neues?) Wort nachgesprochen¨“Geländer.“ – Schließlich ist auch das Prinzip der Mehrdarbietung (Butzkamm & Butzkamm, S. 53) deutlich: die Oma sagt mehr, als Olivia wirklich verstehen kann. Olivia saugt es auf wie ein Schwamm.
Aspekte der Mehrsprachigkeit
Drei-Sprachen-Mix (Film auf Youtube):
Là c’est quoi ça? (Da, was ist das?) Das ist Astors Lieblingsformel, mit der er Wörter erfragt. Astor weiß also schon längst, dass die Dinge ihre Namen haben. „Kann man mit bauen“, erklärt Oma. Astors Bestätigung „e baue“ kann man als Zweiwortsatz auffassen. „e“ funktioniert hier gewissermaßen als verbale Allzweckwaffe. Sie wird gelegentlich da eingesetzt, wo er meint, da gehört noch was hin, aber was genau, weiß er noch nicht. Typisch für Kinder, wie ihnen etwas unvermittelt einfällt: „Vamos… latino“ kennt er von einem Lied, das die Großen öfter singen. „À la plage“, wahrscheinlich inspiriert von „vamos“, das er dann wiederholt. Oma, überdeutlich: „Bist du müüüde? Er bestätigt: Ouais, bin mü – de, spricht also auch die schwachtonige Endsilbe –de. Noch kann er genau hinhören.
Fantasiespiel (Film auf YouTube):
Astor hat sich Omas Müsli geklaut. Bald hat er keinen Hunger mehr und will aus der Situation aussteigen. Die Oma folgt genau den Impulsen, die von Astor ausgehen: Der schaut nach unten, darauf die Oma: Ist da was runtergefallen? Und Astor versteht, könnte das aber selbst noch gar nicht artikulieren: Vorsprung des Verstehens. Dann entdeckt er sein Kuscheltier, zu dem er spricht und das er bestraft, wie seine Mutter es gelegentlich mit ihm und Milan macht: Es wird in die Ecke geschickt,“ au coin“. Ein typisches Fantasiespiel, das zum Rollenspiel ausgebaut wird (Butzkamm & Butzkamm, S. 39f.). – Mehrfach verwendet er „a“ als Stellvertreter für andere Wörter, als verbale Allzweckwaffe.
Gesprächsausschnitte:
Oma: Wie schmeckt das? Astor: C’est bon. Oma: Schmeckt das auch lecker? Astor: Lecker, lecker, lecker. Astor : Tout fini Kiwi moi. Oma : Du hast die ganz aufgegessen. Astor: Veux encore toi? Oma: Nein, ich möchte jetzt nichts mehr.
Astor: A place a Milan. (Das Kuscheltier liegt am Platz seines Bruders Milan) D’accord, doudou? Alors, au coin! (= Jetzt aber in die Ecke!) Oma:Was hat denn das doudou gemacht? A fessée…(?) a Milan (=Milan hat einen Klaps auf den Hintern gekriegt?) Oma: Solche Dummheiten macht das doudou?