Fremdsprachig unterrichten – wie schaffe ich das? Das Muttersprachenparadox.(Toulouse 2014)

 

1. Muttersprache: zwischen Wildwuchs und unterlassener Hilfeleistung

Wenn man vom Goethe-Institut eingeladen ist, sollte man mit einem Goethe-Zitat beginnen. Ich habe folgendes gewählt: Wer das erste Knopfloch verfehlt. Das trifft besonders auf den FU zu. Richtig anfangen, das ist entscheidend, ist auch schwierig und kontrovers. Ich will ihnen effektive Techniken vorstellen, die besonders am Anfang wichtig, aber auch später noch  nützlich sind.  Ich will zeigen, wie Theorie und Praxis, Wissenschaft und Unterricht ineinander greifen.

Im Endeffekt, und grob gesprochen,  lernt man Kommunizieren durch Kommunizieren wie das Schwimmen durchs Schwimmen und Tennis durchs Tennisspielen. Man lernt eine Sprache, indem man sie gebraucht, und nicht, indem man eine andere gebraucht. Das ist ein Grundgesetz des Lernens. Was liegt näher, dies auch im Unterricht soweit wie möglich zu praktizieren. Also alle Sprechanlässe  zu nutzen: begrüßen und sich verabschieden, aufrufen, Aufgaben stellen, Fehler korrigieren,  in der Fremdsprache loben, tadeln usw. Absolut plausibel. Vollkommen richtig. Das war und ist in der Tat nach wie vor das Ziel und eben auch der Weg. Aber nicht alle gehen diesen Weg mit gleich gutem Erfolg, und es gibt den Missbrauch der L1, dass man wie beim Latein den Unterricht muttersprachlich durchführt.

Unter dem Eindruck des weitverbreiteten Missbrauchs war die dringlichste Frage stets, wie kann ich es erreichen, so viel wie möglich in und durch die Fremdsprache zu unterrichten? Das war die Stoßrichtung. Der Muttersprache Raum geben, das tat man eher aus der Not heraus. Das war auch oft mit einem schlechten Gewissen verbunden. Es war eine Art Kapitulation. Man kapituliert vor  den Schwierigkeiten einer fremdsprachlichen Unterrichtsführung. Am Ende wird dann der Unterricht bis auf wenige fixe Formeln in der Muttersprache durchgeführt. Alles Organisatorische, alles Drum und Dran, alles Persönliche, Mitmenschliche, das in den Unterricht hineinspielt, was auch zur Sprache kommen muss, wird in L1 abgehandelt.  Ich nenne das den muttersprachlichen Wildwuchs: all das, was nicht Spracharbeit und Lehrbucharbeit im engeren Sinne ist, wird in L1 erledigt. Ein Praktikant berichtet lapidar: „Mitteilungsbezogene Ko. fand nicht statt“.  Oft wird auch berichtet, dass Lehrer gern fremdsprachlich loben, aber in die Muttersprache verfallen, wenn sie tadeln. Miriam schreibt über ihre Lehreerin:  „Schade, dass sie Deutsch sprach, wenn sie wirklich ärgerlich wurde. Wir hätten sie so gern auf frz. schimpfen gehört“. Wir wissen, dass das im Grunde falsch ist, weil so viele natürliche Sprechanlässe ungenutzt bleiben.

Falsch ist aber auch das völlige Beiseitelassen der L1, als ob es sie nicht gäbe, der Verzicht auf ihre Mithilfe – die allenfalls bei grammatischen Erklärungen erlaubt war. Falsch ist die schlichte Devise: so wenig Muttersprache wie möglich, weil sie auf der Unkenntnis ausgearbeiteter bilingualer Lehrtechniken  beruht. Man hat das Kind mit dem Badewasser ausgeschüttet. Das kann zu so etwas wie unterlassener  Hilfeleistung führen. Ich will Ihnen vornehmlich zeigen, wie man die Muttersprache nicht einfach bloß erlaubt, sondern zum Bündnispartner macht, und zwar so, dass man die fremdsprachliche Verständigung im Unterricht fördert, statt sie zu behindern.

Denn wenn es stimmt,

  • dass kein Schüler bei Null anfängt, sondern das gesamte Gepäck seiner sprachlichen Vorgeschichte mit sich trägt;
  • dass man eine Fremdsprache nur auf dem Boden einer erworbenen, natürlich gewachsenen Sprache erwerben kann,
  • dass die hiermit geschaffenen kognitiven Grundlagen das Lernen einer Fremdsprache überhaupt erst ermöglichen,

stellt sich noch eine andere Frage:

  • Wie kann man optimal an diese Grundlagen anknüpfen,
  • wie kann man erworbene Fähigkeiten und Fertigkeiten für die Fremdsprache fruchtbar machen,
  • wie kann man das vorhandene, muttersprachlich verquickte kognitive Potenzial ausreizen, statt es zu ignorieren?

Beide Fragen sind gleich berechtigt. Der Paradigmenwechsel, den ich anstrebe, bedeutet, auf den Punkt gebracht, dass nunmehr auch die zweite Frage der Anbindung ernsthaft gestellt wird, und die Muttersprache nicht wie bisher nur als Störfaktor und Nothelfer, sondern als Geburtshelfer der Fremdsprache gesehen wird.

Meine These, die Antwort auf beide Fragen zugleich, lautet: Paradoxerweise gelingt es am besten, die Fremdsprache als Arbeitssprache, als Mittel und Medium des Unterrichts zu etablieren, wenn wir systematisch, aber gezielt und genau dosiert die Muttersprache zu Hilfe nehmen, ohne der Fremdsprache zu viel Zeit zu stehlen.

2. Die fünffache Mitgift

Nicht anzustreben ist deshalb die Einsprachigkeit, die keine zweisprachigen Lehrtechniken kennt und die Muttersprache auf die Rolle der Feuerwehr bei schwierigen Wort- und Strukturerklärungen reduziert. Richtig ist: In der Muttersprache, mit ihr  und durch sie haben wir (1)   unser Denken fortentwickelt und die Welt auf den Begriff gebracht; (2) kommunizieren gelernt (3) unsere Stimme entwickelt und artikulieren gelernt; (4) eine grammatische Grundordnung intuitiv zu erfassen gelernt; (5) wir haben die sekundären Fertigkeiten des Lesens und Schreibens erlernt. Dieses Geprägt- und Schon- Informiertsein, d.h. die umgreifende, in der Erstsprache heranreifende Sprachlichkeit des Menschen, ist das Fundament unserer Selbstwerdung und der größte Aktivposten des Fremdsprachenlerners.

Die Muttersprache (einschließlich anderer, wie Muttersprachen früh erworbener Sprachen) ist darum das Instrument zur Erschließung fremder Sprachen, ihrer Bedeutungen, ihrer grammatischen Formen und Funktionen, der Dechiffrierschlüssel, der

  • den schnellsten,
  • den sichersten,
  • den genauesten
  • und vollständigsten Zugang zur Fremdsprache bildet –  bis diese sich zunehmend selbst weiterbauen kann.

 

Ich erläutere nun die eben aufgeführte fünffache Mitgift der Muttersprache.

1. Sprache ist uns anerschaffen, sie gehört zu unserem Geburtsrecht. Aber sie ist nicht das erste. Wir verfügen schon über ein kognitives Potenzial vor der Sprache, das in der gelebten Sprache und mit ihr weiterentwickelt wird.

Kognitiv meint hier zunächst unser Weltverständnis, alles, was wir von unserem Leben verstehen und wie wir Wirklichkeit erfasst und geordnet haben. Dazu gehört auch so etwas Fundamentales wie unser Symbolvermö­gen, das mit der Muttersprache heranreift: die wahrhaft erstaunliche Tatsa­che, dass es Lautungen gibt, Klänge, rhythmische Erschütterungen der Luft, die an unser Ohr dringen und auf etwas verweisen. Das eben ist ja eine der großen Errungenschaften des menschlichen Geistes, dass etwas für etwas anderes stehen kann, zu dem es sonst überhaupt keine Beziehung hat. Es ist das Arbiträre, Unmotivierte, Unbegründete in der Tatsache, dass etwa ein Schall wie “rot”  oder ein ganz anderer Schall wie Türkisch kirmizi eine Farbe meint.  Kinder sind wie wir alle symboltüchtig, sie kennen intuitiv das Wunder der Zeichenver­wendung, das Wunder der Wörter. Hinzu kommen Grundmuster des Han­delns wie Essen, Schlafengehen, Geben und Nehmen und all die verschiedenen Lebenswelten, in denen wir uns schon ausken­nen, drinnen und draußen, beim Arzt, im Bus, auf’m Spielplatz  usw. Wir haben einen Sinn für Vergangenes und Noch Kommendes entwickelt, kennen die Logik von und und oder, gleich und Gegenteil, Teil und Ganzes, und all das in engster Verbindung mit der Mutterspra­che. Da sind stark befahrene neuronale Datenautobahnen entstanden.

Wir lernen neue Ausdrucksweisen, die müssen wir aber an bekannte Begriffe hängen, die ihrerseits schon mit muttersprachlichen Ausdrücken eng verbunden sind.

Nur weil wir schon ohne weiteres übers Wetter sprechen können, können wir es auch auf Englisch oder Chinesisch versuchen. Wir  tragen diesen Alltagsverstand, die erste Ordnung der Dinge, unsere Lebensbegriffe in die Fremdsprache hinein. Wir können gar nicht anders. Täten es die Schüler nicht zum allergrößten Teil von selbst, könnten die Lehrer gleich einpacken.  Die stille Präsenz der Muttersprache wird durch sprachpsychologische Experimente sowie von der modernen Hirnforschung vollauf  bestätigt: Einsprachigkeit ist anfangs eine innere Unmöglichkeit.

2. Zu den kognitiven Vorleistungen gehört nun auch unsere kommunikative Kompetenz.

Kinder können nur leben im lebendigen Austausch mit ihren Pflegeperso­nen, sonst verkümmern sie. Von Geburt an erfahren wir uns als Wesen, die auf das Du zielen. Das ist unsere soziale Intelligenz: mit andern mitfühlen, sie verstehen, auch um sie zu manipulieren. Vorschulkinder können  bitten und betteln, behaupten, bestätigen, begründen, sich einschmeicheln, trösten, schimpfen, spotten, jemanden umstimmen, nachgeben, verbal angreifen und abwehren, sich herausreden, und besonders gut können sie jammern. Sie verfügen über eine reiche Palette stimmlicher, intonatorisch markierter,  mimisch gestützter Ausdrucksmittel.

Meine fünfjährige Enkelin, die dreisprachig, mit Französisch als dominanter Sprache aufwächst, hat schon ein feines Gespür für kommunikative Tonlagen und Gestimmtheiten. Als ich das folgende Stückchen mit ihr durchprobierte, hat sie da sofort hineingefunden:

 

 

Folie: Falsche Welt (Handzettel)

 

Der neutrale Tonfall zu Beginn, das ungläubige Was, das insistierende, bestimmte Wiederholen, der Protest: „Aber Mütter machen doch…“, das überlegene „Die Zeiten ändern sich“, all das war ihr nicht fremd,  das hat sie sofort spielend übernehmen können.

Wir Menschen sind von früh auf  befähigt, uns in andere hineinzudenken und hineinzufühlen. (etwa ab dem ersten Lebensjahr: perspective-taking, theory of mind) Das ist ein altes Erbe der Menschheit. Nur in der Gruppe konnten wir überleben. Deshalb mussten wir früh lernen, die andern um uns herum zu verstehen,  mögliche Reaktionen voraus zu sehen, mit anderen gemeinsame Sache zu machen.  So sind auch schon Vorschulkinder Gedankenleser und können sich leicht Masken aufsetzen.  Ohne weiteres  können sie Vater, Mutter, Lehrer oder den eigenen Hund spielen.

Das alles ist keineswegs selbstverständlich. Selbstverständlich aber ist: Wir tragen auch dieses Schon-Kommunizieren-Können in die Fremdsprache hinein. Täten wir es nicht, wir kämen nicht weit.

 

3. Arbeit mit Dialogen

Und jetzt mein Unterrichtsvorschlag:

Weil Kinder schon in dieser Weise kommunikativ kompetent sind und schon früh eine emotional-kommunikative Intelligenz entwickelt haben, lautet meine erste praktische  Empfehlung, am Anfang ständig Sprache zu inszenieren und kleine Stückchen der gezeigten Art einzustudieren. Dialoge sind beim Sprachenlernen eine Allzweckwaffe und wurden schon der Antike benutzt.

Gespräch unter Männern

Hier noch ein zweiter Dialog.

Dialoge sind ideale Sprachlerntexte, denn: Sprache ist im Sprechen. Und das Sprechen braucht einen Partner. Sprache entsteht ja zwischen den Menschen, die miteinander handeln. Hier ist nicht die Maschine, sondern der Mensch des Menschen Lehrer.

Wir erarbeiten diese Stückchen zunächst mit dem Ziel, dass alle Schüler sie am Ende frei und natürlich sprechen und spielen können. Der Anfang ist Vorsprechen und Nachsprechen mit der bilingualen, schriftgestützten Sandwich-Technik. Das sieht so aus. Seien Sie bitte für einen Augenblick meine Schüler:

 

Du siehst so niedergeschlagen aus.

Tu as bien l’air déprimé, toi.

Tu n’as pas l’air dans ton assiette.

Du siehst so niedergeschlagen aus.

 

Also das passsende, sprechübliche, idiomatische  muttersprachliche Mitteilungsäquivalent dazwischenpacken. Aber das ist noch nicht alles. Bei schwierigen Sätzen spreche ich gewöhnlich das Original ein drittes Mal still vor. Die Schüler schauen auf mich und sprechen still mit, und dann erst zeige ich auf  Schüler und gebe damit das Signal zum Nachsprechen.

Ich fasse zusammen:

Zwei Fragen gilt es zu beantworten: 1. Warum ist diese Art der Semantisierung so effektiv? Weil beide Äußerungen, Original und Übersetzung, ein vollgültiges Sprachereignis darstellen:  Äußerungen, nicht Wörter, sind die primäre Wirklichkeit der Sprache. Alles ist da:

Stimme und Satzmelodie + Mimik + Gestik / Körpersprache

Man spürt Erichs Besorgnis schon in der Stimme, dazu kommt der besorgte Gesichtsausdruck…

2. Welche Momente erleichtern das Nachsprechen?

Mentale Ressourcen werden frei für die Konzentration aufs Nachsprechen: Das ist die Aufgabe, das fällt schwer, das muss der Schüler selbst leisten, das können wir ihm nicht abnehmen. Also: Entlastung von der Sinnerschließung.

Unmittelbares Nachsprechen: kein Namensaufruf  + Mundbilder +

Schriftgestütztes Hören

Festigung des Textes – Arbeitsschritte zur Auswahl:

Denselben Text mehrfach abfragen, aber immer anders

  1. Entspannt: Stimmt – stimmt nicht (dasselbe – anders)
  2. Bildnummer+Sprecher
  3. Stichwort / Signalwort – ganzer Satz
  4. Lippenablesen
  5. Rückübersetzung
  6. Freies Aufsagen eines beliebigen Satzes
  7. Gehend: Hinschauen – Lesen – Aufschauen – Sprechen: aus dem Kopf sagen

 

4. Sandwichtechnik und Doppelpass  

Genau diese Technik benutzen wir auch, um möglichst früh, möglichst viel von der phraséologie scolaire einzuüben.

Hier zwei Momentaufnahmen aus dem Englischunterricht. Folie:

Lehrer: Goodbye. See you tomorrow…

Lehrer: “You’ve skipped a line. Du hast eine Zeile übersprungen. You’ve skipped a line.”

Die Sandwich-Technik kann man ja sehr diskret handhaben, etwa in der Art des Beiseite-Sprechens oder des Zuflüsterns.

Die Sandwich-Technik des Lehrers hat ein bilinguales Pendant auf Schülerseite:

Keineswegs darf man den Schülern jedes muttersprachliche Wort verbieten, sondern muss  ihre Einwürfe aufgreifen und das fehlende Äquivalent zur Verfügung stellen:

Sehr aufschlussreich war eine Geschichtsstunde, die ich vor Jahren am bilingualen Zweig eines Hamburger Gymnasiums aufgezeichnet und verschriftet habe.  Es gab eine lebendige Diskussion über den ersten Irak-Krieg. Sie wurde möglich, weil sehr oft der Doppelpass gespielt wurde, wie oben. Die L1 wirkte wie ein Schmiermittel, un lubrifiant de la conversation. Die Muttersprache wird so geschickt eingeschleust, dass sie kaum fremdsprachige Kontaktzeit kostet. In wenigen Sekunden wird den Schülern die jeweils gebrauchte Wendung zugespielt, dann geht das Gespräch weiter.

Mit diesen bilingualen  Techniken  ist es leichter, die Fremdsprache als Verkehrssprache im Unterricht konsequent zur Geltung zu bringen und die kommunikative Qualität des Unterrichts zu verbessern.

Die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Es gibt viele verpasste Gelegenheiten (Folie).

Auf diese Weise wird echte Kommunikation  zum bloßen Lippenbekenntnis.

 

Der Lehrer stellt hier die Hausaufgabe auf  Englisch, der Schüler hält sich aber nicht an den Standardsatz, den er kennen müsste: How do you say ‚sparen‘? Der Lehrer tut dann das Falsche. Er verweigert die Auskunft. Genau das, dass man sich an den Lehrwerkwortschatz zu halten habe, berichtet ein deutscher Lehrassistent aus England:

„Ähnlich war es mit den Berufen der Eltern. Alle Eltern waren entweder Mechaniker oder Sekretärinnen, wie im Lehrbuch.“  Cornelia, German assistant teacher

Absurd.

Viele Kollegen haben erfahren, wie energieverzehrend das Bemühen der Lehrer um einen fremdsprachigen Unterricht ist.  „Da beißt man sich als Lehrer bei den meisten Schülern die Zähne aus,“ wird ein Lehrer zitiert. Der gezielte Einsatz der Muttersprache wird den Kampf“ der Lehrer um Durchsetzung der Fremdsprachigkeit bei den Schülern wohl nicht ganz abschaffen, aber doch erheblich abmildern.

Ich empfehle ein Fünf-Punkte Programm:

  1. Zwischenschieben
  2. Aufgreifen und Zurückspielen
  3. Festhalten, schriftlich fixieren zwecks Wiederverwendung. Die Schüler können die neuen Ausdrücke – vielleicht am Ende der Stunde –  in eine Extra-Kladde eintragen und sich merken, so dass sie beim nächsten Mal nicht mehr übersetzt werden.
  4. Durchhalten: Konsequenz
  5. Zusammenhalten

Fazit: Muttersprachliche Verstehenshilfen, richtig eingesetzt, erleichtern die fremdsprachige Unterrichtsführung, statt sie zu verhindern.

Ich komme zurück zur fünffachen Mitgift der Muttersprache.

Intuitiv haben wir nicht nur das Wunder der Wörter, sondern mit unserem Alltagswissen und unserem kommunikativem Können auch das Wunder der Grammatik verstanden.

Fünf Beispiele, die ich beliebig vermehren könnte:

  1. Schon das vorsprachliche Kind weiß zwischen Personen und Sachen zu unterscheiden; der Unterschied wird dann von der Sprache ergriffen, ausgearbeitet und grammatisch relevant.
  2. Es kann auch schon unterscheiden, wer etwas tut und wem etwas angetan wird, von wem, wo und womit.
  3. Bekannt sind ihnen auch schon Wechselwörter wie “du” und “ich”, die je nach Sprecher und Situation jemand anderes meinen, nicht dieselbe Person. Damit haben Kleinkinder noch zu kämpfen, die “ich” und “du”, “mein” und “dein” gern verwechseln. „Wie sehr hier ein Lernproblem besteht, zeigen uns Kinder mit verzögerter Sprachentwicklung, die mitunter jahrelang die Pronomina umkehren“ (Butzkamm & Butzkamm, S. 15).
  4. Wie könnten Kinder den progressiven Aspekt verstehen, wenn sie noch nicht den Begriff des Andauerns und Vorübergehens  entwickelt hätten?
  5. Wieviele Relativsätze hat ein Kind schon gehört, mit dem man Bilderbücher ansieht: “Und wo ist der Mann, der …“? Und wie heißt das Tier, das…?

Schulkinder haben mehr als einen grammatischen Grundvorrat angesammelt,auch wenn sie bis in die Schuljahre hinein noch dazulernen müssen.Aber, aber, könnten Sie sagen, das Problem ist doch, dass Sprachen dies unterschiedlich umsetzen! Jein!  Z.B.: Wir verstehen schnell, dass eine Sprache ein anderes Possessivum haben kann für einerseits ‘mein Kopf’ oder ‘mein Vater’ und andererseits ‘mein Löffel’ oder ‘mein Buch’. Wir können eben den Unterschied zwischen unveräußerlichem, nicht von mir trennbarem Besitz und einer anderen Besitzweise, einem auswechselbaren Besitz, nachvollziehen. So sind schon die Grundzüge der Temporalität, Kausalität, Konditionalität, Finalität und Konzessivität erworben, und zwar in dieser Reihenfolge. Wie beliebt sind Wenn-Sätze bei Eltern! Grammatiken, die Bedingungen ausdrücken, ohne ein Wörtchen wie “wenn” zu haben, sind nachvollziehbar, weil wir die zugrunde liegende Idee des “Wenn – dann” schon haben. Neu zu lernen wären in der Tat die spezifischen fremdsprachlichen Ausprägungen. In der genetisch vorprogrammierten Eltern-Kind Kommunikation wächst ein Kapital heran für den Rest des Lebens, ein Kapital, mit dem wir arbeiten können und müssen. Wir müssen es besser als bisher verzinsen. Grammatik von der Muttersprache her ist Grammatik vom Schüler her.

Wir tragen also unser grammatisches Vorverständnis in die Fremdsprache hinein. Täten wir es nicht, wir kämen nicht weit. In allen Sprachen liegt die eine Sprache der Menschheit. Die Verschiedenheiten liegen an der Oberfläche, über den Konstanten menschlichen Denkens und Welterlebens in der Tiefe. Wie diese Erkenntnis praktisch umzusetzen ist, z.B. durch bilinguale Strukturübungen, kann ich Ihnen aus Zeitgründen nicht mehr zeigen.

Hier ist jemand, der mit gesundem Menschenverstand an eine neue Aufgabe herangeht:

„Tout de suite j’ai entrepris d’apprendre le berbère. Tous les jours je venais m’asseoir près du chef de clan et lui demandais : Comment dit-on : « donne-moi ton bras » ou « Je ne te ferai pas mal », bref, les expressions courantes qu’il faut savoir dans le métier d’infirmière. Je notais phonétiquement tout ce qu’il me disait et l’apprenais par cœur le soir et le lendemain je retournais voir le chef qui me corrigeait autant de fois que nécessaire. Ainsi ai-je fini par parler le berbère avec le bon accent, ce qui me valut le surnom de  « la sœur arabe ». (Goure 1981, 119)

Die Naturmethode ist anfangs zweisprachig und mündet in die Einsprachigkeit.

Fazit: “Die Kinder würden die Sprache nicht lernen, wenn sie nicht schon eine Sprache hätten”, schreibt Jean Paul, ein Zeitgenosse Goethes, die Muttersprache hieße richtiger die „Sprach-Mutter“.  Sie ist die unbefragte Voraussetzung allen Unterrichts. Die Lehrer müssen bilinguale Arbeits­techniken verwenden, natürlich im Ver­bund mit einsprachigen Arbeitsformen, und natürlich in einem Unterricht, der von Anfang an anstrebt, die fremde Sprache als Unterrichtssprache durchzusetzen.

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