Französisch am Rand des Ruins

Zuschrift einer Fachleiterin und Buchautorin

Bemerkungen zu Wolfgang Butzkamms Artikel in NM 1/2006 („Quo usque tandem – Die Einsprachigkeit in der gegenwärtigen Praxis und ihre Korrektur.„),  völlig unwissenschaftlich, aber tief empfunden:

Butzkamm hat Recht! Seit über 30 Jahren! Die Ablehnung sinnvoller Übungsformen hat das Fach Französisch an den Rand des Ruins gebracht.

Der deutsche Lehrer ist ein freier Mensch. Und die deutsche Lehrerin ist eine freie Menschin. Nichts und niemand kann sie zwingen, ihren Schülern – und natürlich auch Schülerinnen – etwas beizubringen, z.B. Französisch. Von dieser Freiheit wird reichlich Gebrauch gemacht. Mit dem Erfolg, den wir kennen: Französisch siecht als Schulfach dahin, in der Kursstufe ist es schon fast tot. Es gibt Französischlehrer, die ihren Schülern mit dem besten Gewissen der Welt, ohne das zu wollen oder auch nur zu merken, nichts beibringen. Dies soll trotzdem keine Lehrerschelte werden  (obwohl …, na ja …, sie könnten ja mal was merken, oder? ). Also,  sie können kaum etwas dafür, denn so haben sie es gelernt. Und natürlich gibt es auch in Französisch immer noch tolle Schüler und tolle Lehrer, aber leider immer seltener.

Es drängt sich manchmal der Verdacht auf, dass der Begriff Fremdsprache als Programm missverstanden wird: Die Fremdsprache heißt Fremdsprache, weil sie fremd ist, und das Ziel des Fremdsprachenunterrichts ist es, dafür zu sorgen, dass sie für möglichst viele Schüler auch möglichst fremd bleibt. Im Gegensatz zu der richtlinienkonform in allen Unterrichtsentwürfen beschworenen kommunikativen Kompetenz in Alltagssituationen wird dieses ‚Lehrziel‘ mühelos erreicht. Die als kreativ und kommunikativ angepriesenen Übungen vermitteln in erster Linie das Gefühl, dass es völlig egal ist, was man sagt. Bedeutung wird ersetzt durch Beliebigkeit.

Ich erinnere mich gut an meine eigene Reaktion auf Butzkamms Aufgeklärte Einsprachigkeit. Ich war erleichtert. Ich dachte, die Menschheit würde vernünftig und der Fremdsprachenunterricht effektiver. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand so vernünftige und mit so vielen einleuchtenden Beispielen untermauerte Ausführungen ablehnen könnte. Ich war naiv.

Butzkamm wurde abgelehnt. Ich hatte manchmal den Eindruck, dass man ihn böswillig missverstand, geradezu missverstehen wollte. Ein Lehrer, der zweisprachige Übungen machte, wurde sofort verdächtigt, für einen einsprachigen Unterricht nicht genug Französisch zu können. Dass zweisprachige Übungen nur zeitlich begrenzt, klar strukturiert und zielgerichtet eingesetzt werden sollten, wurde nicht zur Kenntnis genommen, sondern unterstellt, dem unsystematischen, unkonntrollierten, völlig hemmungslosen Einsatz der Muttersprache solle Tür und Tor geöffnet werden.

Auf die vielen und einleuchtenden Gründe für den Einsatz der Muttersprache kann hier nicht im Detail eingegangen werden. Sie sind bekannt und haben nichts an Aktualität und Gültigkeit eingebüßt, im Gegenteil. Trotzdem werden sie weiterhin in Bausch und Bogen abgelehnt. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Weil die Ausbildung an Universitäten und Studienseminaren z.T. einer Art Gehirnwäsche gleichkommt. Weil sich niemand traut, diese nach wie vor ‚politisch nicht korrekten‘ Übungen zu befürworten. Weil die Fachdidaktik nicht bereit ist, die Lage vorurteilsfrei zu analysieren und die notwendigen Schlüsse zu ziehen.

Die Auswirkungen dieser Unvernunft sind vor allem für das Fach Französisch fatal. Die Regelmäßigkeit und das Zeitmanagement der Wiederholungen kann nur mit Hilfe von zweisprachigen Übungen geleistet werden. Ein Verzicht auf dieses einfache, äußerst flexibel einsetzbare Hilfsmittel schadet den Schülern und dem Fach Französisch. Ein Verzicht darauf bedeutet Verzicht auf Wiederholung, auf regelmäßige, sinnvolle, inhaltsbezogene Wiederholung. Und wohin das führt, sehen wir am ‚Erfolg‘ des Französischunterrichts.

Auch wenn man an den Zeitaufwand denkt, den zweisprachige Übungen erfordern, ist die heftige Ablehnung kaum verständlich: Es geht um kurze Phasen, in denen auf Einsprachigkeit verzichtet wird, Phasen von ungefähr 5 (in Worten fünf !) Minuten. In der übrigen Zeit wird selbstverständlich einsprachig geübt, beschrieben, (nach-) erzählt, diskutiert … und natürlich kommuniziert. Diese kurzen zweisprachigen Phasen müssen routinemäßig, aber mit und aus Überzeugung absolviert werden! Das geht und das wirkt! Schüler und Eltern haben übrigens nichts dagegen. Sie gehen ganz unbefangen an die Sache heran und finden zweisprachige Übungen einfach nur nützlich. Damit haben sie Recht.

Wenn die heute üblichen Unterrichtsformen zu guten Ergebnissen führten, hätte man das sicher schon einmal gemerkt. Wo ist denn die Kommunkative Kompetenz?!  Die Schüler stimmen mit den Füßen ab und verlassen in Scharen den französischen Sektor. Sie müssen ja nicht Französisch wählen. Spanisch winkt und verspricht höhere Rendite!

Die Wiederbelebungsversuche – immer buntere, im Stil von comics gestaltete Lehrwerke, Senkung des Niveaus, viel Lob und gute Zensuren für eher mickrige Leistungen etc. werden auch scheitern. Denn das grundsätzlich falsche Konzept wird nicht in Frage gestellt.

Trotz der an sich angestrebten Kommunkativen Kompetenz werden den Schülern absurde Pflichtübungen unverdrossen immer wieder abverlangt, obwohl sie erwiesenermaßen nichts, aber auch gar nichts bringen. Eine Sauerstoff- und Frischzellenkur, richtiges Hirn- und Kraftfutter wäre nötig. Stattdessen kriegt der Schüler Lückentexte, deren Inhalt er nicht versteht und bald auch gar nicht mehr verstehen will. Es gibt nicht viele Übungen, die noch kommunkationsfeindlicher sind. Was soll denn ein normal entwickeltes Hirn mit Lückentexten anfangen? Wie und wo – und wieso? – soll es die Lücken speichern? Wie soll man auf Lücken aufbauen? Warum wird das immer wieder versucht, obwohl es nachweislich nichts bringt?!

Anders als die Studenten, die Butzkamm befragt hat, und die ja geradezu gierig darauf warteten, nach der Stunde endlich nachgucken zu können, was das Ganze denn nun heißt und die dann trotz allem nicht abzuschrecken waren und Englisch studiert haben, anders als diese unermüdlich Motivierten hat der ’normale‘ Schüler, die schweigende Mehrheit, längst jedes Interesse verloren, hat sich daran gewöhnt, nichts zu verstehen und führt diesen Umstand nicht auf unsinnigen Unterricht, sondern auf die besondere Schwierigkeit des Französischen, die eigene Unfähigkeit Fremdsprachen zu erlernen oder schlicht auf seine angeborene Blödheit zurück. Und wartet – nicht mal böse, sondern nur noch gelangweilt und angeödet – auf das Ende seiner Französischtage. Es ist geradezu grotesk, wie schwer man den Schülern den Französischunterricht macht durch falsche Methoden und mangelnde Systematisierung, sowohl was Strukturen wie Wortschatz* angeht.

Nicht nur zweisprachige Übungen, sondern fast alle bewährten, einfachen, flexibel zu handhabenden Übungsformen werden als obsolet abgelehnt. Und die Ablehner dünken sich modern und fortschrittlich, weil sie völlig unkritisch altbewährte Formen ablehnen:

– Übersetzungen vom Französischen ins Deutsche werden so gut wie nie gemacht. So bleibt den Lehrern die Erkenntnis erspart, dass viele Schüler vom Inhalt der Texte, die sie ‚lesen‘, kaum eine Ahnung haben.

– Mit dem Sprachlabor sind auch die mündlichen Strukturübungen gestorben, obwohl sie ohne Sprachlabor sehr effektiv sind.

– Nacherzählungsübungen sind mit der Nacherzählung als Arbeits- und Klausurform ausgestorben.

– Auswendiglernen ist völlig out.

– Systematische Übungen zum Wortschatz finden kaum statt, da zweisprachige Übungen verpönt, andere aber sehr schwierig zu ‚managen‘ sind. Dasselbe gilt für regelmäßige Vokabeltests.

Natürlich müssen diese Formen entstaubt, ‚geliftet‘ und ‚upgedatet‘ werden! Aber dann sind sie wunderbar effizient. Sie haben bei wenig Zeitaufwand einen großen Trainingseffekt, die Kosten-Nutzen-Relation ist besonders günstig. Außerdem müssen sie in gar keiner Weise öde und dröge sein, sie können im Gegenteil mit etwas pädagogischem Geschick oft sehr interessant und motivierend gestaltet werden, da der Lehrer aktuelle (auch witzige!) Themen / Probleme / Interessen der Schüler einbeziehen kann. Allen diesen Übungen gemeinsam ist, dass sie kaum oder gar nicht praktiziert werden. Und deshalb ist Französisch so schwer!

An die Stelle der ‚alten‘ Übungen ist aber kaum etwas Brauchbares getreten, sondern es herrscht eine Art ‚Übungsvakuum‘, das mit allerlei oft sehr zeitaufwändigen Mätzchen gefüllt wird. So wird wertvolle Unterrichtszeit vergeudet. Es wird insgesamt viel zu wenig geübt. Aber wenn überhaupt, dann werden die Übungen oft dilettantisch, unstrukturiert, nicht lernzielorientiert durchgeführt: Strukturübungen bei geöffnetem Buch;  das Auswürfeln von Verbformen in der ohnehin zu knappen Unterrichtszeit wird als handlungsorientiertes Lernen missverstanden! Derartige Absurditäten – (Heiliger Ionescus steh uns bei!) – findet niemand anstößig. Aber ein Lehrer, der von Anfang an zielgerichtet kontrastiv übt und der auch regelmäßig immer wieder Verben durchkonjugieren, systematisch ‚aufsagen‘ lässt  –  von  je commence   bis   ils commencent, von  je me promène  bis   elles se promènent, von  je me suis levé  bis  ils se sont levés … etc.   –  so jemand muss Angst haben, sich lächerlich zu machen. Dabei dauert das nur Sekunden, bringt aber echten, messbaren Trainingserfolg. Aber so etwas halten moderne Lehrer für überflüssig. Damit wollen sie ihre Schüler nicht belästigen. Mit dem Erfolg, dass diese oft schon ganz gängige, regelmäßige Verbformen nicht sicher beherrschen und in Infinitiven reden!

Niemand würde sich einbilden, er könne Klavierspielen lernen ohne regelmäßige Fingerübungen. In jeder Sportart macht man gezielte Übungen, Aufwärmtraining, Krafttraining und wiederholt das alles regelmäßig. Eine Fremdsprache ist nun wirklich nicht einfacher als eine Sportart, aber hier soll alles spielerisch, unsystematisch, unkontrolliert, ohne größere Mühe quasi von alleine und mit Dauerspaß vonstatten gehen. Da braucht man nur zu sagen  Faites le dialogue oder  Jouez la scène  und schon laufen die Schüler voller Begeisterung zu kommunikativer Hochform auf.

Der Französischunterricht in seiner jetzigen Form ist so wenig erfolgreich, erreicht so wenige Schüler, dass man sich ernsthaft fragen muss, ob er nicht schlicht als volkswirtschaftlicher Blödsinn bezeichnet werden muss. Bei so wenig Ertrag ist die Finanzierung kaum noch zu rechtfertigen. Eigentlich müssten sich die Landesrechnungshöfe und der Bund der Steuerzahler damit beschäftigen.  Die kümmerlichen Ergebnisse kann man auch ohne Lehrer erreichen. Die Stellen könnten ohne weiteres gestrichen werden. Das brächte enorme Einsparungen im Bildungsbereich. Andere Sparten machen doch vor, wie es geht. Ich empfehle outsourcing. Das wäre ehrlicher. Was noch als Erfolg zu verbuchen ist, ist schließlich auch jetzt schon eher das Ergebnis von elterlichen Bemühungen oder teuer bezahlter Nachhilfe.

Es müsste noch vieles angesprochen werden: fast alle wichtigen Punkte des Unterrichts werden sträflich vernachlässigt: sinnvolle, regelmäßige Wiederholung, Vokabellernen, Hausaufgaben, aktives Satztraining, Hörtraining, Lesetraining, sinnvoller Einsatz moderner Medien  … …

Ich finde nach wie vor, dass Französisch eine schöne und wichtige Sprache ist, die zu lernen sich lohnt. Ich ärgere mich darüber, dass Französischlehrer beharrlich an dem Ast sägen, auf dem sie noch sitzen. Und die Schüler tun mir leid. Denn die können nun wirklich gar nichts dafür!

Die Misere des Französischunterrichts in Deutschland wird wohl nur noch übertroffen durch das Elend des Deutschunterrichts in Frankreich. Aber das ist ein schwacher Trost.

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