Pädagogischer Notstand: Lernstandserhebungen

Methodische Fehler haben verheerende Folgen für lernschwache und wenig motivierte Schüler, die schnell aufgeben. So sind Fremdsprachen an  Grund-,  Haupt- und Gesamtschulen teilweise ein pädagogisches Notstandsgebiet geworden. (Natürlich sind auch noch andere, fächerübergreifende Probleme im Spiel).  Doch keiner guckt so recht hin.  Oder guckt schnell wieder weg. Unterlassene Hilfeleistung! Wir blicken in einen „Abgrund von Verantwortungslosigkeit.“ (Spiegel 27/2010)

Etwas ist faul in der „Bildungsrepublik“ Deutschland. Wir haben 7 ½ Millionen Analphabeten  in der BRD (Die Zeit 8.9.2011), und die haben keine Lobby. Die Risikogruppe der Schüler, die in den grundlegenden Kulturtechniken nicht über das Grundschulniveau hinausgelangt, liegt bei 18 %. (FAZ 1.9.2011). Das ist „eine Bankrotterklärung der Primarstufe, schreibt Heike Schmoll in der FAZ, ein Versäumnis, das keine weiterführende Schule aufholen kann.“

An diesem Bankrott ist das Fach Englisch beteiligt, das heute ebenfalls zur Grundbildung gehört.  Es gibt eine überwältigende Evidenz für das Versagen im Fach Englisch. Das ist seit den DESI Tests  (DESI-Konsortium 2008)  allen klar.  Zwei Drittel der Neuntklässler an Hauptschulen erreichen nicht einmal die erste Kompetenzstufe. Sie können kaum einen Satz auf Englisch verstehen. Bildungsverlierer auch im Fach Englisch.

„Noch immer bekomme ich Schüler, die behaupten, dass sie während ihres achtjährigen Englischunterrichts an der Haupt- oder Realschule keinen einzigen Satz frei auf Englisch gesprochen haben. “ (mitgeteilt von A.R.,  Berufsschule  Email 30.1.2013)

Fakt ist, dass die Grundlagen nicht gelegt werden. Noch immer werden Fremdsprachen am Anfang falsch unterrichtet, und zwar in allen Schulformen. Und nach meinem Dafürhalten auch in anderen Fremdsprachen, und in anderen Ländern, z.B. in Deutsch als Fremdsprache. Nur ein Beleg: „Fast die Hälfte der Studierenden sind nach 8 bis 13 Jahren Deutschunterricht nicht in der Lage, eine Prüfung auf dem B1 Niveau des GERR zu bestehen,“  klagt die Professorin Federica Ricci Garotti in ihrem Artikel: „Warum so wenige Kompetenzen nach so vielen Jahren Deutsch? Der Fall „Deutsch als Nachbarsprache“ in der Provinz Trento/Trient: Chance oder Problem?“ In ZiF 1 (2008).

 In den Anfangsklassen wird weltweit etwas verbockt, was gute Gymnasialschüler teils mit mehr Intelligenz, mehr Durchhaltekraft und besonders häuslicher Mithilfe überspielen können, und ihre Lehrer mit größerer sprachlicher Versiertheit. Durch die Arbeitsfreude einer hochmotivierten Leistungsspitze sowie durch ein gesundes, immer noch leistungsbereites Mittelmaß wird das letzte Drittel der Gymnasiasten mitgerissen. In der Hauptschule aber geben zu viele emotional instabile und gefährdete Schüler zu schnell auf und randalieren am Ende sogar, wenn man nicht ihre vorhandenen kognitiven Stärken direkt anspricht – nämlich die Begabungen zur Sprache, die jedem gesunden Menschen in die Wiege gelegt sind. Wie die Ökologie eines Gewässers kippen kann, so kommt es schließlich in vielen Klassen zu einem Punkt, an dem nichts mehr geht.

Die schlimmen Zustände waren aber schon längst vor DESI durch kleinere Lernstandserhebungen bekannt, die immer unter den Teppich gekehrt wurden. Wirklich niederschmetternd dann die flächendeckenden Lernstandserhebungen in allen neunten Klassen Nordrhein-Westfalens im Schuljahr 2005/6 (Schulministerium NRW.de 2005/6). Hier fiel ein Fächervergleich merkwürdig krass zuungunsten des Faches Englisch auf. So erreichten beim Leseverstehen englischer Texte nur 6 % der Hauptschüler die beiden oberen Leistungsstufen, bei Deutsch und bei Mathe waren es dagegen schon 12 % bzw. 19 %. Der Skandal ist also nicht mehr kleinzureden, zumal die DESI Ergebnisse auch noch durch den IQB Ländervergleich (Köller et al. 2010) bestätigt wurden. Olaf Köller, Hauptautor der Studie: „Traut man den Befunden, so ist der nicht- gymnasiale EU vielerorts gescheitert“ (Die Zeit 24.6.2010).  All das ist einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Ich verweise auf Presseberichte.

Köller, O.,  Knigge, M. und Tesch, B. ( Hg.). Sprachliche Kompetenzen im Ländervergleich. Münster (2010): Waxmann Verlag.

Siehe auch unter Publications: „Schwache Englischleistungen – woran liegt’s? Glanz und Elend der Schule oder die Wirklichkeit des Fremdsprachenschülers“ ZiF 12:1 (2007) 1-17

https://ojs.tujournals.ulb.tu-darmstadt.de/index.php/zif/article/view/275/267